Von wegen finsteres Mittelalter
Der Fachbereich Mediävistik stellt sich vor
Als Teilbereich der Germanistik beschäftigt sich die Germanistische Mediävistik in Forschung und Lehre mit der deutschsprachigen Textüberlieferung des Mittelalters, d.h. mit der Sprache und der Literatur von den Anfängen volkssprachlicher Schriftlichkeit im 8. Jahrhundert bis hin zu den ersten Übergängen zu einem neuzeitlichen Sprach- und Literatursystem im Lauf des 16. Jahrhunderts.
Der sprachgeschichtliche Teil befasst sich dabei mit den verschiedenen Sprachstufen des Deutschen in seiner historischen und regionalen Entwicklung, angefangen beim Althochdeutschen über das Mittelhochdeutsche bis hin zum Frühneuhochdeutschen. Um hierfür Verstehensvoraussetzungen zu vermitteln, die insbesondere dem Erwerb von Übersetzungskompetenzen vom Alt- und Mittelhochdeutschen ins Neuhochdeutsche dienen, stehen aber nicht nur die Laut- und Formenlehre der älteren deutschen Sprachstufen, sondern auch ältere Sprachen an sich (das Indogermanische, Gotische, Altnordische etc.) sowie Fragen der historischen Semantik im Zentrum.
Germanistische Mediävistik richtet im literaturwissenschaftlichen Teil den Fokus auf die literarische Verfasstheit der überlieferten Texte aus den älteren Sprachperioden. Ausgegangen werden muss hierbei freilich von einem erweiterten Literaturbegriff, denn die Mediävistik befasst sich nicht nur mit genuin ‚literarischen‘ Texten, sondern auch mit Formen (im weitesten Sinne verstandener) pragmatischer Schriftlichkeit, mit Gebrauchstexten wie Rechtsschriften, medizinischen Heil- und Kochrezepten also, aber auch mit Visionsliteratur, Predigten oder geistlichen Traktaten, mit Zaubersprüchen oder Reiseberichten.
Neben den üblichen Fragen der Literaturwissenschaft – wie etwa denen nach narrativen Formen, Gattungen, narratologischen oder textkritischen Beschreibungs- und Darstellungsmöglichkeiten, nach Erzählschemata oder rhetorischen und stilistischen Mitteln – ist es zudem unverzichtbar, die überlieferten Texte gerade auch in ihrem kulturellen, medialen, politischen und sozialen Kontext zu betrachten. Für ein tiefgründiges Verständnis der mittelalterlichen Literatur ist nicht nur das Instrumentarium philologischer Expertise erforderlich, sondern die Bereitschaft zu einer Arbeit, die komparatistisch und interdisziplinär offen ist, um diese Literatur gerade auch in ihrer diskursiven und kulturgeschichtlichen Vernetzung betrachten zu können. In der Germanistischen Mediävistik stehen literaturwissenschaftliche Studien folglich immer auch im Horizont einer kulturwissenschaftlichen, auf gesamteuropäische Kontexte ausgerichteten Ausgangsproblematik und deren Signifikanz innerhalb einer interdisziplinären Debatte.
News
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Dokumentation (ORF): „Erbe Österreich. Prostitution unter dem Doppeladler“, Beiträge von Ao.Univ.-Prof. Mag. Dr.phil. Brigitte Spreitzer-Fleck
Neuerscheinungen
- Konzeptionen des Heidnischen in der deutschsprachigen Literatur des 13. Jahrhunderts: Zu Rudolfs von Ems 'Alexander' und Albrechts 'Jüngerem Titurel'.
Julia Zimmermann, Berlin, Boston: De Gruyter, 2024. - Recontextualizing Medieval Heritage and Identity in Contemporary Austria.
Series: Places and Spaces, Medieval to Modern, Alexandra Sterling-Hellenbrand (Gastprofessorin), ARC Humanities Press, 2024. - Mîn sanc sol wessen dîn. Deutsche Lyrik des Mittelalters und der frühen Neuzeit: Interpretationen.
Hg. von Holger Runow, Tobias Bulang und Julia Zimmermann, Wiesbaden 2023.
Objekt des Monats
Von den etwa 1100 Codices und den unzähligen Handschriftenfragmenten aus mittelalterlicher Zeit, die in den Sondersammlungen der UB Graz aufbewahrt werden, sind ca. 160 teils oder vollständig deutschsprachig. Ziel des Projekts „Objekt des Monats“ ist die Aufbereitung und Präsentation exemplarischer „Highlights“ nicht nur aus dieser Sammlung, sondern u.a. auch aus lateinischen Handschriften. Die einzelnen Artikel sind vorwiegend von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Lehrveranstaltung „Historische Medien: Mittelalterliche Handschriften“ am Institut für Germanistik in enger Kooperation mit den Sondersammlungen der UB Graz als Projektarbeiten entstanden.