Das Politische, das Korrekte und die Zensur.
Ao. Univ.-Prof. Dr. Beatrix Müller-Kampel (Institut für Germanistik)
Die Politische Korrektheit, so scheint es, setzt sich nunmehr auch in Europa als herrschende Meinung, juridisches Parallelinstitut und Zensur durch. Unter Berufung auf eine absolute Moral der Egalität und Gerechtigkeit dringt die Politische Korrektheit in unser Denken ein und lenkt immer stärker jedes öffentliche Sprechen und Schreiben. Mittlerweile soll auch das Geschriebene, Gespielte und Gesungene aller Epochen Korrekturen unterzogen werden – und seien es Shakespeares »Othello«, »Mozarts Entführung aus dem Serail« oder ein Kinderlied wie »Drei Chinesen mit dem Kontrabass«. Der übliche Vorwurf: Sexismus, Rassismus, Nationalismus, Kolonialismus, begrifflich immer öfter differenziert und vermehrt um »Genderismus«, »Heterosexismus«, »Klassismus«, »Ableismus«, »Migratismus«, »Ethnizismus«, »Religiosizismus«, »Lookismus« und »Ageismus«.
Die Absolutheit und der Fanatismus, mit der die Moralen der »-ismen« vertreten werden, wie auch die Wechselhaftigkeit ihrer Semantik verbinden die Politische Korrektheit mit der Zensur – freilich nur mit der
Zensur in Diktaturen autokratischer, faschistischer oder stalinistischer Prägung, die in erster Linie mit der Angst vor dem Unausgesprochenen, dem »ungeschriebenen Gesetz« laboriert.
Muss man sich also vor der Politischen Korrektheit und ihren Jünger/inn/x/I*_LGBT(GLBT/LSBTTIQ/LSBTTIQ)en mehr fürchten als vor der Zensur?
Die Tagung ist auch Teil des germanistischen Curriculums bzw. des im Sommersemester 2017 von Beatrix
Müller-Kampel angebotenen Bachelorseminars »Das Politische, das Korrekte und die Zensur. Beispiele aus
der Neueren deutschen Literatur- und Theatergeschichte«.